Ein epischer Skandinaviensommer

Bruno Bisig

Geschäftsführer

Einst: Zwei junge Männer, zwei Abenteuer im hohen Norden. Später: Ein Familienvater kehrt mit seiner Frau und den beiden Buben zurück. Und erlebt eine Zeitreise, vor allem aber ein drittes Abenteuer zwischen Nostalgie und Neuland, Skandinavien durch Kinderaugen und ein Gefühl wie damals in der Pfadi. Das ist die Geschichte von Kontiki-Geschäftsführer Bruno Bisig.

Interview: Franziska Hidber

Bruno Bisig mit seiner Frau Saskia und den Söhnen Tobias und Arno:

«Ein Abenteuer, das nie enden wollte!»

Abisko zum Ersten

Juni 1990. Kilometer um Kilometer rattert die Vorfreude nordwärts, rhythmisch im Takt des Zuges, Stunde um Stunde, dem Polarkreis entgegen und darüber hinaus. Die Sonne macht Überstunden, hinein in die Nacht, und lang bevor der Tag offi ziell beginnt, streichelt sie mit ihren Strahlen Lappland. Im Zug sitzen zwei junge Schaff hauser, Bruno und Martin, sie kennen sich vom Langlaufverein, eine halbe Ewigkeit schon.

In ihrer Tasche steckt ein Interrail-Ticket, in den Knochen schon fast 70 Stunden im Zug und vor sich haben sie eine Mission: Den Kungsleden in Schwedisch-Lappland zu erobern, den Königspfad, Schwedens längster Fernwanderweg. Und, so wird es gesagt, auch der Schönste: Man wandert insgesamt 180 Kilometer durch eine fantastische Berglandschaft, bewältigt 6430 Höhenmeter und quert vier Nationalparks der UNESCO-Welterbestätte Laponia. Doch die beiden jungen Männer haben keinesfalls vor, den ersten Abschnitt zu wandern. Mit ihren Bikes wollen sie in Abisko am 68. nördlichen Breitengrad losradeln, über Wurzeln, Stock und Stein durchs Gebirge.

Fische vom Feuer

Deshalb sind sie nun unterwegs, jetzt im Frühsommer, ehe die Saison beginnt. Auf der Suche nach Weite, Ruhe und Natur. Und während sie nordwärts fahren, stellen sie sich vor, wie sie Fische zum Abendessen fangen und über dem Feuer braten, bevor sie ins Zelt kriechen oder in einer der 16 Hütten Unterschlupf fi nden würden. Aber dann endet die Fahrt und die Ernüchterung beginnt.

Die Fische schwimmen unter einer Eis schicht; der See, Torneträsk, ist gefroren, anstatt zartgrüner Birkenblättchen und moosiger Wege sehen die Schweizer Interrailer blankes Weiss. Es liegt Schnee, bis eineinhalb Meter hoch. Dieser Schneeberg, so viel ist ihnen klar, lässt sich auch mit all ihrer Unterneh mungslust nicht bezwingen. Die beiden laden ihre Bikes wieder ein, setzen sich erneut in den Zug, fahren weiter nach Narvik in Norwegen, genehmigen sich in der Stadt Fish & Chips. Und plötzlich ist sie da, die Idee. «Wir kommen wieder. Im Winter. Mit den Langlaufski!»


Abisko zum Zweiten

Winter 92. Wieder rattert der Zug nordwärts. Wieder sitzen die Schaff hauser darin. Im Gepäck diesmal: dünne Latten. Und je ein Rucksack, 25 Kilogramm schwer. Es dämmert bereits am Nachmittag. Die Zwei sind guter Dinge, voller Vorfreude. Unterwegs legen sie einen unfreiwilligen Zwischenstopp ein: Bei Bruno bröckelte ein Zahn.

«So», sagt der Zahnarzt, «nun sollte das halten. Gute Weiterreise! – Wohin geht’s überhaupt?» «Auf den Kungsleden. Mit den Langlaufski. Wir hatten auf gutes Wetter gehoff t, aber es sieht nicht danach aus.» Der schwedische Zahnarzt schweigt einen Moment. Räuspert sich und meint bedächtig: «Joo, joo, auch ein Schneesturm kann schön sein.»

Sie übernachten in der Abisko Turiststation, inmitten der Berge. Am nächsten Morgen schnallen sie sich ihre Latten an, schmale Rennski. Weit und breit ist keine Spur zu sehen. Der Wind heult. Der Sturm jagt Schneewehen über den Weg. Nur die roten Holzkreuze zeigen, dass sie noch auf dem richtigen Weg sind. Für den Notfall steckt ein Zelt im Rucksack. Sie haben mit ihren Langlaufski schon den Gotthard und die Greina gemeistert, da liegt auch der Kungsleden drin.

Die erste Nacht verbringen sie in einer einfachen Hütte, der Holzdeckel auf dem WC im Flur ist gefroren, das Wasser holen sie im Fluss, auf der Herdplatte brutzelt ein Abendessen. Ein Hüttenwart guckt kurz in die Küche, dann sind sie wieder allein. Abseits der Hauptroute gleiten die Schweizer durch weisses Niemandsland. Zwischendurch klart der Himmel auf, erstreckt sich strahlendblau über ihren Köpfen, die Sonne wärmt die Gesichter, kein Laut ist zu hören, nur das Geräusch der Ski, in gleichmässigem Rhythmus: schschhhhh, schschhhh ...

Am Abend funkeln immer mehr Sterne am Himmel. Das Abendessen in der Hütte wärmt bis in die Zehenspitzen. Martin geht zum Wasserholen hinaus – als er wieder kommt, überschlägt sich seine Stimme.

«Bruno! Komm rasch, da ist etwas.»

«Was, wo?»

«Da! Draussen! Wie von einer Disco.»

«Disco? hier? Sicher nicht!»

«Dann sind es Scheinwerfer!»

«Quatsch»

«Schau es dir an, schnell.»

Beide treten vor die Tür und bleiben wie angewurzelt stehen. Am Himmel tanzen intensive grüne Lichter, fliessen über die Fjells, reflektieren im Schnee. Sprachlos vor Staunen verfolgen die Freunde das magische Spektakel, bis es ihnen dämmert: Was sie hier sehen, sind Nordlichter!

Das erste Nordlicht

«Das war meine Nordlichtpremiere», erzählt Bruno Bisig, Geschäftsführer von Kontiki, rund 30 Jahre später in seinem Büro in Baden. Bis heute belustigt ihn, dass sie «keine Ahnung» hatten. «Von Nordlichtern hatte damals niemand etwas erzählt, sie standen nicht auf dem Radar», sagt er über das unverhoffte nächtliche Intermezzo.

Nach 193 Kilometern auf den dünnen Latten und 14 Tagen in der weissen Wildnis endete ihr zweites Abenteuer. Und so plötzlich, wie damals auf dem Interrail-Trip die Idee aufblitzte, den Kungsleden im Winter auf Langlaufski zu bewältigen, so plötzlich kam der Wunsch, mit seiner Frau Saskia und den beiden Buben Arno und Tobias, damals sechs und drei, zurückzukehren und den Söhnen weiterzugeben, was ihn als junger Mensch geprägt hat und bis heute erfüllt: die Natur, Ruhe und Kultur des Nordens.

Bis heute belustigt ihn, dass sie keine Ahnung hatten.


Abisko zum Dritten

An einem Sommertag sitzen sie zu viert im Flugzeug Richtung Stockholm. Vor ihnen liegen Abenteuerferien, ein fast vierwöchiges Eintauchen in den Norden. «Sich einlassen auf Unbekanntes», formuliert es Bruno Bisig. Vor der Natur und Ruhe geht’s in die quirlige Hauptstadt Schwedens. Dann, wie einst zu Interrailzeiten, mit dem Zug nach Sundsvall. Für eine Woche wird das nordschwedische Küstengebiet Höga Kusten – die «hohe Küste» in der Provinz Västernorrlands län – ihr Ferienzuhause. Sie baden im Bottnischen Meeresbusen, legen ihre Tücher auf die von der letzten Eiszeit fein geschliffenen Felsen und geniessen diesen aussergewöhnlichen «Strand» exklusiv für sich.

Nach den «Badeferien» steigen sie in den Zug nach Åre, fahren weiter bis Trondheim an der norwegischen Westküste, wo bereits das Hurtigrutenschiff nach Svolvær wartet. Ihr Ziel: die Lofoten, das arktische Insel-Archipel mit dem exotischen Flair. Finnisch- Lappland ist die letzte Station. Der Kontiki-Bus bringt die Familie nach Kittilä, mit dem Mietwagen gelangt sie zum Blockhaus in Rauhala.

Auf den Lofoten stemmen sich die Buben gegen den Wind.

Im Gepäck bei diesem dritten Abenteuer: weder Bikes noch Langlaufski, aber reichlich Nostalgie. Was für die Kinder Neuland bedeutet, gestaltet sich für den Vater als Zeitreise. In Abisko zum Beispiel, wo die Familie stilecht in der Abisko Turiststation nächtigt. Vor dem Einschlafen erzählt der Papa seinen Söhnen die Geschichte der Langlauftour mit den ersten Nordlichtern. Am nächsten Tag marschieren sie zusammen los, ein Stück weit auf den Spuren der beiden Langläufer. Später in Narvik schmecken die Fish & Chips noch genau wie damals.

Stemmen gegen den Wind

Während den Interrailern eine Fahrt auf der Hurtigrute versagt blieb, schlafen Arno und Tobias zum ersten Mal in einer Schiffskabine. Es dauert, bis ihnen die Augen zufallen: Zu gross ist die Aufregung, zu hell die Nacht. – Auf den Lofoten stemmen sich die Buben gegen den Wind, zwischendurch regnet es waagrecht. Drei Tage will die Familie bleiben. Mit zwei unternehmungslustigen Vorschulkindern bei Wind und Wetter.

Doch: einmal Pfadfinder, immer Pfadfinder. Bruno holt eine Landkarte hervor, beugt sich darüber. Und sieht: Ganz in der Nähe muss eine Schutzhütte für Wanderer sein. Jetzt werden die Jungs neugierig. Wo ist diese Hütte, wem gehört sie, wohnt dort jemand und was birgt sie in ihrem Innern? Vergessen sind Sturm und Regen, voller Tatendrang marschieren sie voran. Sie erreichen die geheimnisvolle Hütte. Zaghaft öffnen die jungen Entdecker die Holztür. Es knarrt und quietscht. Mit zusammengekniffenen Augen gucken sie ins schummrige Innere und sehen – eine Norwegenfahne! Ehrfürchtiges Staunen. Woher kommt die Fahne? War etwa der norwegische König hier gewesen? Kleine Hände streichen über den Stoff, halten das Fundstück in die Höhe. Sie wird Gesprächsstoff auf der ganzen Reise bleiben, und weit darüber hinaus.

Diese Passage erzählt der Geschäftsführer besonders gerne – weil sie exemplarisch für die ganze Reise ist: «Für die Kinder bedeutete diese geheimnisvolle Hütte mit der Fahne darin ein riesiges Abenteuer, das bis heute nachhallt. Es braucht so wenig für ein unvergessliches Erlebnis.»

Eindrücklich belegt haben Arno und Tobias das beim «Dessert», der Blockhauswoche in Finnisch-Lappland. Hegten die Eltern erst Bedenken, dass eine ganze Woche zu lang, zu langweilig werden könnte, so wurden sie schnell eines Besseren belehrt. Der Spielplatz der Natur zieht die Söhne in den Bann, kaum haben sie die Haustüre geöffnet. Sie schnitzen Stecken mit dem Sackmesser, pflücken Beeren und backen Kuchen, spielen am Wasser, streifen durch die endlosen fi nnischen Wälder, lernen von einem Einheimischen, ohne Zündhölzer ein Feuer zu entfachen.

«Ich kam mir vor wie früher bei der Pfadi.»

Paddeln im Kanu über den See, sausen im Wintersportort Levi kreischend die Rodelbahn hinunter, geniessen den Zvieri im kleinen Zelt auf der Wanderung oder am Feuer in einer Kota, halten Ausschau nach Rentieren und erspähen prompt eines der seltenen weissen Tiere. Abends fallen sie mit roten Wangen erfüllt und müde ins Bett, fi nden trotz Helligkeit rasch in den Schlaf.

Reif für die Pfadi

«Nach dieser Woche wären sie bereit für die Pfadi gewesen», scherzt ihr Vater und fügt an: «Ich kam mir auch manchmal vor wie früher bei den Pfadfi ndern.» Das Spielzeug von zuhause? Lag unbeachtet in der Ecke. «Der Luxus des einfachen Lebens machte uns Eltern und die Kinder glücklich», sagt Bruno Bisig. Anders als damals in der Hütte oder im Zelt auf dem Kungsleden gab es im Blockhaus fl iessend Wasser, eine Sauna, ein Cheminée. Genau wie damals betörte die nordische Natur mit ihrer Weite, ihrer Stille und üppigem Reichtum. Und die nordische Kultur mit ihrer Lebensweise im Einklang mit der Jahreszeit. Fasst Bruno Bisig seine Familienreise zusammen, klingt es so: «Es war ein Sommerabenteuer, das nie enden wollte – immer, wenn wir dachten, dieses Erlebnis sei nicht mehr zu toppen, begeisterte uns die nächste Station.»

Vieles erinnerte ihn an seine eigenen Abenteuer in den frühen Neunzigern: die Entdeckungslust, die Freude an der Natur des hohen Nordens, der Weite. Dazugekommen ist ein Geschenk: «Ich habe den Norden und die Orte von damals durch die Augen meiner Kinder neu erlebt.»


Kontiki-Geschäftsführer Bruno Bisig über seine Familienferien im Blockhaus:

„Das naturnahe Leben war der grösste Luxus“

Bruno Bisig, Geschäftsführer von Kontiki, erlebte mit seiner Familie Sommerferien im Blockhaus in Finnisch-Lappland und fühlte sich dabei wie früher in der Pfadi. Im Interview spricht er über seine Bedenken im Voraus, den grössten Irrtum, die neue Fähigkeit seiner Jungs (4 und 6 Jahre alt) und sagt, was er andern Eltern empfiehlt.

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