Wer von Island verzaubert wird, kommt kaum wieder von der Vulkaninsel los – das weiss der Schweizer Schriftsteller Joachim B. Schmidt nur zu gut. Die fünf Lieblingsorte des Wahlisländers erzählen von Elfen, französischen Soldaten, verstaubter Nostalgie, verbotenen Katzen und einem Monster.

Text und Fotos: Joachim B. Schmidt

Joachim B. Schmidt

Joachim B. Schmidt lebt seit 2007 in Island. Für Kontiki ist er als Reiseleiter und Journalist unterwegs, meistens brütet er aber im stillen Kämmerlein und schreibt Bücher. www.joachimschmidt.ch

Hvalfjördur

ACHTUNG: ROTKOPFWAL!

Der Name Walfjord entspringt einer Elfengeschichte. Darin verwandelt eine Elfe den Vater ihres Kindes in einen bösen Rotkopfwal, der schliesslich von einem Zauberer zur Strecke gebracht wird. Der verzweigte, landschaftlich abwechslungsreiche Walfjord hält viele Geschichten bereit. Unten am Strand der Halbinsel Hálsnes befand sich einst der mittelalterliche Handelshafen Mariuhöfn, und Überreste von alliierten Militärbasen aus dem Zweiten Weltkrieg lassen sich auf Hálsnes, als auch auf Hvítanes finden. Ganz hinten im Fjord, unweit der alten Walfangstation, fällt einer der höchsten Wasserfälle Islands in eine fast 200 Meter tiefe Schlucht: Glymur – der Schmetternde. Der Wasserfall heisst so, weil er eben schmetterte, als der Rotkopfwal vom Zauberer da hochgejagt und im Walsee weiter oben verbannt wurde.

Grundarfjörður

Die Franzosen sind weg

Auch dieser Hafenort an der Nordseite der Snæfellsnes-Halbinsel hat Geschichte: Um 1800 liessen sich französische Fischer in Grundarfjörður nieder, wo sie ihren Fang verarbeiteten. Nach rund 50 Jahren brachen sie die Siedlung wieder ab und nahmen alles mit: ihr Spital, ihre Kirche und sogar ihre Toten aus den Gräbern. Das schmucke Fischerdörfchen in der geschützten Bucht lebt noch heute vom Fischfang. Es ist von einer gewaltigen Berglandschaft umrahmt: Spitze, scheinbar unbezwingbare Gipfel, von den Eiszeitgletschern scharf geschliffene Bergkämme, bemooste, grün leuchtende Felsen, von denen sich Wasserfälle stürzen; so schön und pur, als wäre die Welt eben erst erschaffen worden. Ein Kraftort zum Verweilen.

Westfjorde

Der wilde Westen Islands...

… präsentiert sich abgelegen, holperig und voll verstaubter Nostalgie. Menschenleere Fjorde, wo sich die Polarfüchse und Papageitaucher gute Nacht sagen, verlassene Höfe, liegen gelassene Schiffwracks, weisse Strände, schwarze Strände … Die Westfjorde sind so immens, die gefühlten Distanzen zwischen den kleinen Ortschaften so weit, dass man glaubt, sich in den Fjorden zu verlieren und einen Teil von sich da zurückzulassen. Die Fjordbewohnerinnen und -bewohner sind so dramatisch wie die Landschaft, die sie umgibt. Glücklicherweise massakrieren sie keine Schiffbrüchigen mehr, wie 1615 geschehen, aber sie verfügen noch immer über einen ausgeprägten Eigenwillen. Die Westfjorde und ihre Bewohnerinnen und Bewohner sind so ungestüm und verflixt tiefgründig, dass man Mühe hat, je wieder aus den Fjorden herauszufinden.

Grímsey

Hunde und Katzen verboten!

Die winzige, indes ganzjährig bewohnte Insel am 66. Breitengrad hat wenig zu bieten. Gerade deshalb ist sie eine bereichernde Erfahrung: Man kann sich selber entdecken. Rund 60 Leute harren auf der baumlosen Insel aus. Die kleine Gemeinde serbelt. Erst kürzlich wurde ein Grossteil der Fangquote aufs Festland verlegt, Arbeitsplätze gingen verloren. Doch wer glaubt, auf der Insel würde deswegen gejammert, der irrt. Sie wissen ganz genau, wie der Wind weht. Sie fühlen sich privilegiert, auf einem einzigartigen Flecken Erde zu wohnen, Fisch hin oder her. Sie teilen ihn gerne mit Touristinnen und Touristen, Zugund Seevögeln. Wegen den Vögeln sind Hunde und Katzen auf der Insel am Polarkreis übrigens verboten. Man respektiert die Weitgereisten. Den Touristinnen und Touristen bringen die Bewohnerinnen und Bewohner eine Gastfreundschaft entgegen, sodass diese die Insel bereichert wieder verlassen.

Fljótsdalur

Literarische und kulinarische Inspiration

Manchmal vermisse ich die Bündner Herbstwälder. Wenn das Heimweh ganz schlimm wird, genügt ein Besuch im lang gestreckten Fljótstal. Da wiegen sich die grössten und ältesten Wälder Islands und schaffen ein angenehm mildes Klima. Über allem thront der Snæfell: der König der isländischen Berge, ein Stratovulkan notabene, freistehend und vergletschert. Er erinnert an den Lonely Mountain in Tolkiens «The Hobbit». Im trüben See Lagarfljót schlummert sogar ein Monster, wie es sich gehört. Dass diese Kulissen zum Geschichtenerzählen inspirieren, ist also naheliegend. Auf dem Anwesen Skriðuklaustur lebte einst der Schriftsteller Gunnar Gunnarsson (Advent im Hochgebirge). Die Architektur des Gebäudes ist augenfällig deutsch, die Pilzsuppe im Restaurant himmlisch. Spätestens in dieser Gegend dämmert der Besucherin, dem Besucher, wie unisländisch Island sein kann.

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