Will man wissen, woher der Urgesang der Sami eigentlich kommt, muss man einen Blick zurückwerfen. In jene Zeit, als das indigene Volk des nördlichsten Teils Europas und Russlands als Nomaden von Siedlung zu Siedlung zog. Sie jagten, fischten, züchteten Rentiere und zelebrierten ihre schamanische Kultur. Zum Klang der Schamanentrommeln – gefertigt aus Birkenholz und Rentierhaut – kam ein kehliger, archaischer Gesang, Joik genannt, dazu. Joiken gehörte so selbstverständlich zum Alltag wie Jagen, Fischzerlegen, Rentierhäuten, Feuermachen oder Kochen.
Der Joik ist mehr als ein Lied. Man joikt nicht über etwas, man joikt etwas. Die samische Joikerin Ulla Pirttijärvi formulierte es im Interview mit der Plattform «Nordische Musik» so: «Man joikt die Dinge selbst, sodass sie anwesend sind. Der Neuschnee kommt mit dem Joik oder ein bestimmter Vogel sitzt vor einem. Man besingt keine Liebesgeschichte, sondern das Gefühl der Liebe soll geweckt und wiedergegeben werden.» Der Joik werde nicht geplant, er entstehe aus dem Moment heraus.
Franziska Hidber
Redaktorin Nordland-MagazinDer Norden hat das Herz von Franziska Hidber, Redaktorin und Reporterin des Nordland-Magazins, im Sturm erobert. Über dem Polarkreis fühlt sich die «Lapinhulla» (Lapplandverrückte) schon wie daheim.
Jeder Joik ist ein Unikat. Es ist bis heute Brauch, einen Joik zur Geburt zu schenken. Oft nur einige Töne, wenige Worte. Im Lauf des Lebens kommen immer mehr Töne und Motive dazu. So wird der Joik zur ureigenen Unterschrift – über den Tod hinaus.
Dass der Joik überlebt hat, grenzt an ein Wunder. Denn im 17. Jahrhundert sollte das indigene Urvolk zum Christentum bekehrt werden: Trommeln wurden zerstört, Schamanen getötet, das Joiken verboten. Erst 1970, als die Sami aufstanden und ihre Identität wiedererlangen wollten und Unabhängigkeit forderten, kehrte der Joik zurück.
Heute feiert er ein regelrechtes Revival. Joik ist Kult, berühmte Interpretinnen wie Mari Boine tragen ihn weit über Lappland hinaus. Joiksänger Wimme Saari kombiniert den traditionellen Gesang gar mit elektronischer Musik. Dafür erntet er Begeisterung – und Kritik: Joik sei eine private Angelegenheit, gehöre nicht auf die Bühne. Die Meinungen bleiben gespalten, während sich der Joik unaufhaltsam seinen Platz in der internationalen Musikwelt erobert.
Die norwegische Sami Sängerin und Musikerin Mari Boine performt den traditionellen Sami-Gesang an einem Live-Concert im Februar 2021 im Rockefeller in Oslo.