Engagement am Polarkreis: Jetzt geht es los!

Erstmals hat Kontiki alle Akteure in der Destination Nordisland zum engage-Forum eingeladen. Der Nachhaltigkeitsbeauftragte Tony Reyhanloo schaut zurück auf rege Diskussionen vom Jedermannsrecht bis zum Elektro-Shuttle, und spricht über isländische Bescheidenheit, Vulkanhitze, eine fehlende Liebeserklärung – und Plastikröhrli.

Franziska Hidber

Redaktorin Nordland-Magazin

Der Norden hat das Herz von Franziska Hidber, Redaktorin und Reporterin des Nordland-Magazins, im Sturm erobert. Über dem Polarkreis fühlt sich die «Lapinhulla» (Lapplandverrückte) schon wie daheim.

Interview: Franziska Hidber

 

Tony Reyhanloo, das erste engage-Forum von Kontiki in Akureyri ist bereits Geschichte. Was ist dir besonders präsent geblieben?

Die unglaubliche Euphorie und die gute Stimmung. «Ah, das Forum ist sehr wichtig», ist eine Aussage, die wir öfter gehört haben. Das echte Interesse der Leute an einer nachhaltigen Entwicklung hat mich sehr berührt – es haben wirklich alle verstanden, worum es uns geht.

Wen habt ihr mit diesem Forum angesprochen?

Über 30 verschiedene Anspruchsgruppen aus der Destination – von der Hotellerie über die Politik über Fischer über Tourguides über Tourist-Information-Büros bis hin zu Museumsverantwortlichen. Wir wollten alle einbinden, die mit dem Tourismus zu tun haben.

Wie muss man sich die Rolle von Kontiki vorstellen: Habt ihr anhand einer Checkliste erklärt, was zur Nachhaltigkeit noch fehlt?

Nein, nein, im Gegenteil: Wir haben in einem ersten Schritt – schon vor dem Forum – mit allen einzeln angeschaut, was bereits vorhanden ist. Dabei setzten wir bei den Stärken an. Es ging uns vor allem darum, den Beteiligten eine Stimme zu geben: Wo stehen sie, was brauchen sie für ihre weitere Entwicklung und wie können ihre Ideen umgesetzt werden? Es ist ein partnerschaftliches Projekt, das wir zusammen auf Augenhöhe vorantreiben.

 

Wo steht die Destination insgesamt, was ist deine Einschätzung?

An einem guten Punkt. Die Sensibilisierung ist gross – es gibt zum Beispiel längst walfreundliche Touren, vielerorts wird auf Plastik verzichtet, und dank Geothermie und Wasserkraft produziert man nahezu die ganze Elektrizität aus erneuerbaren Quellen.

Und wo besteht noch Potenzial?

Bei der Kommunikation zum Beispiel. Für die Einheimischen ist es ganz normal, Ressourcen lokal zu nutzen oder mit Vulkanhitze klimafreundlich zu fahren, darüber verliert man keine Worte. Dabei ist es wichtig, diese Vorzüge den Gästen gegenüber sichtbar zu machen. Also zum Beispiel mit einer Liebeserklärung ans Meer und 100 Prozent walfreundlichen Touren.

 

Gibt es weiteren Handlungsbedarf?

Nordisland ist ein riesiges, sehr dünn besiedeltes Gebiet – auf einen Quadratkilometer Fläche kommt eine Person. Ein Beispiel: Ein Outdoor-Tourenanbieter in Mývatn ist von der Museumsdirektorin in Siglufjörður auch mental weit entfernt, mehr als die knapp 200 Kilometer. Es gibt an fast allen Orten gute Ansätze und kreative Ideen, aber sie sind oft nicht aufeinander abgestimmt. Wenn zum Beispiel das Museum in Húsavík beschliesst, im Winter morgens zu öffnen, und ein anderes Museum in Akureyri dieselbe Idee hat, können Reisende auf dieser Strecke nur ein Museum besuchen. Hier ist Koordination gefragt. Diese Koordination fördert wiederum die nachhaltige Entwicklung: Stichworte Ganzjahres-Tourismus und Wertschöpfung vor Ort.

 

Kamen auch Visionen zur Sprache?

Und ob! Wir haben bewusst danach gefragt und die Visionen – inklusive Missionen – geschärft und schriftlich festgehalten. Auf den Tisch kamen interessante Vorschläge, zum Beispiel: Anstatt dass alle einzeln im Mietwagen zu den drei Wasserfällen im Diamond Circle fahren, könnte ein Elektro-Shuttle zwischen den Naturschauspielen verkehren.

Was beschäftigt die lokalen Anbieter am meisten?

Die Option auf den Ganzjahres-Tourismus mit der lokalen Wertschöpfung für die Bevölkerung statt nur während der Saison. Auch der Schutz der Natur gab viel zu reden. Dabei wurde unter anderem das Jedermannsrecht ausgiebig diskutiert: Wie kann man diese grossartigen Naturschauspiele schützen und gleichzeitig den Gästen zugänglich machen? Dass das Absperren keine Lösung ist, darüber waren sich alle einig. Es geht um die Suche nach einer Balance, die der Natur, den Menschen und dem Tourismus dient.

 

Apropos Saison: Weshalb legt Kontiki das Augenmerk ausgerechnet auf Nordisland im Winter?

Mit seiner Ruhe, seiner Authentizität und seiner Natur widerspiegelt Nordisland die Werte von Kontiki. Eine entscheidende Rolle spielt der wachsende Übertourismus auf der Insel im Sommer und die Konzentration auf Süden und Westen. Uns geht es darum, den Touristenstrom besser zu verteilen – auf die Regionen und Jahreszeiten. Damit erhalten die Einheimischen eine Perspektive über die Saison hinaus, Natur und Infrastruktur werden entlastet und unsere Gäste können das authentische Island erleben.

«Die Einheimischen erhalten eine Perspektive über die Saison hinaus.»

Was hat das erste engage-Forum gebracht?

Alle sind engagiert. Das heisst, dass sämtliche Beteiligten gemeinsam am runden Tisch ihre Anliegen und Ideen einbringen konnten. Dadurch ist ein fruchtbares Netzwerk über die eigene Region hinaus entstanden – mit gebündelten Inputs, einem konkreten Vorgehen und einem gemeinsamen Ziel. Wir haben mit allen eine ganz konkrete Prioritätenliste für die Umsetzung ausgearbeitet. Jetzt geht es los!

 

Wenn ich das nächste Mal nach Nordisland reise: Kann ich davon ausgehen, dass mir garantiert kein Plastikröhrli mehr unterkommt?

(Lacht.) Es geht um viel mehr als um ein Plastikröhrli. Wichtig ist der Blick aufs grosse Ganze. Möglicherweise hat ein Anbieter überall auf Nachhaltigkeit gesetzt, doch im Schrank blieb eine Packung Röhrli übrig. Umgekehrt gibt es Gäste, die am Morgen einen Helikopterflug buchen und sich nachmittags im Café am Plastikröhrli stören. Es ist eine Frage der Relation. Und der Geduld: Nachhaltige Entwicklung ist kein Sprint, sondern ein Weg, den wir langfristig gehen – Schritt für Schritt.

Eigenlabel

Bei den engage-Reisen arbeitet Kontiki mit Unterkünften und lokalen Partnern zusammen, die ein grosses Engagement zeigen. Dies sind oft kleinere, familiengeführte Gasthäuser oder Rundreisen mit Fokus auf Nachhaltigkeit. Kontiki zeigt auf, welchen Beitrag die Reisen zu ausgewählten, lokal relevanten Nachhaltigkeitsthemen leisten. Bei den Themen orientieren wir uns an den 17 Nachhaltigkeitszielen der UNO und damit am vielschichtigen Spektrum der Nachhaltigkeit – von Meeresschutz über Klimaschutz, Tierwohl bis hin zu fairen Arbeitsbedingungen.

Zusätzliche Kriterien

  • Overtourism: sorgsame Auswahl der Destination und der Reisezeit (Saison, Tageszeit)
  • Klimaschutz: Nutzung von Alternativen zum Flug, direkte Flugrouten, CO2-Kompensation
  • Mobilität im Land: Verzicht auf Inlandflüge, Einbindung des öffentlichen Verkehrs und von Slow Travel
  • Unterkünfte: Unterstützung lokaler Strukturen und von Unterkünften mit nachgewiesenem Engagement
  • Tour Guides: ausgewählte, lokal verankerte Tourguides, welche eine Brücke zur Destination bilden und die Wissensvermittlung pflegen
  • Ausflüge: sorgsame Auswahl von Ausflügen mit einem nachhaltigen Mehrwert (Essen und Trinken, Souvenirs, persönliche Begegnungen und Interaktion)

Die Punkte werden bei regelmässigen Besuchen vor Ort überprüft.

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