September 2023

Südwärts im September: Vier Tage an Bord der Havila

Wellenritt und Märchenwelt: Mein Havila-Abenteuer

Der raue Charme der norwegischen Westküste: Kontiki-Mitarbeiter Cédric Rosset ist ihm schon vor Jahren auf einer Autoreise erlegen. Nun hat er die spektakuläre Küstenlinie an Bord des Havila-Schiffes Capella erlebt, von Tromsø bis Bergen. In seinem Tagebuch erzählt er von funkelnden Sternen, wilden Wellen, einer optischen Täuschung und wie es kam, dass er in seine Kabine taumelte.

Der erste Abend: Funkelnde Sterne – und das Nordlicht?

Endlich! Es ist Abend, auf dem Kalender steht der 18. September. Im Hafen von Skjervøy bei Tromsø am 69. nördlichen Breitengrad liegt mein schwimmendes Zuhause für die nächsten Tage. Es heisst Capella, stammt aus der Reederei Havila und besticht durch seine Eleganz. Capella wird mich auf dem Seeweg südwärts bis nach Bergen bringen, dem Ausgangspunkt der Hurtigurte.

Cédric Rosset

Reiseberater

Als grosser Naturliebhaber hat der hohe Norden vor mehr als zehn Jahren Cédrics Aufmerksamkeit erregt. Bei seiner ersten Reise nach Lappland im Sommer war er von der Farbenpracht und der Vielfalt der nordischen Flora und Fauna fasziniert. Diese Faszination des Nordens wurde nach einer zweiwöchigen Reise nach Island noch einmal bestätigt. Cédric entdeckte damals die mächtigen Wasserfälle, die wilden Ostfjorde und die heissen Quellen Islands. Er freut sich bereits darauf, bald wieder in den Norden zu reisen und möchte vor allem den ikonischen Rallarvegen mit dem Mountainbike erkunden.

Schon einmal bin ich Norwegens Westküste entlang gefahren – auf der Strasse. Die Erinnerung an die raue Schönheit der Natur, an reissende Wasserfälle, süsse Fischerdörfchen und prachtvolle Fjorde hat mich Jahre begleitet. Nun bin ich zurück, voller Vorfreude, den unteren Küstenabschnitt vom Wasser aus erleben zu dürfen. Nichts weniger als die „schönste Seereise der Welt“ erwartet mich.

Das Restaurant liegt auf Deck 6. Ich werde zu einem Tisch begleitet, besser: zu „meinem“ Tisch. Denn während meiner ganzen Zeit an Bord werde ich hier speisen. Der Blick in die Speisekarte offenbart zahlreiche traditionelle norwegische Gerichte, zubereitet aus allem, was die Region hergibt: Fisch, Fleisch, Käse, Kartoffeln, Gemüse, Salat. Ich tue mich gütlich an Fischsuppe, Räucherlachs, Rentierfilet, an unwiderstehlichem nordischen Kuchen und Patisserie und stelle schon am ersten Abend fest: Norwegen schmeckt wunderbar, das Tafeln im gemütlichen Bordrestaurant ist ein kulinarisches Vergnügen.

Inzwischen ist es dunkel geworden. Auf dem Aussichtsdeck ganz oben schweift mein Blick über das Lichtermeer der nördlichsten Universitätsstadt mit seinen rund 70 000 Einwohnern. Die Luft ist klar, ein frischer Wind streicht über meine Wangen, am Himmel funkeln die ersten Sterne – ob mich die Nordlichter schon zum Auftakt betören werden? Leider nein. Auf das Farbenspektakel am Himmel muss ich heute verzichten. Doch zu sehen und zu staunen gibt es trotzdem mehr als genug: Zum Beispiel, wie der Kapitän die 124 Meter lange Capella geschickt aus dem Hafen manövriert und von Tromsø Kurs Richtung Süden nimmt.16 Knoten erreicht das Schiff der Reederei Havila durchschnittlich, an Bord sind maximal 640 Passagiere und 70 Crewmitglieder.

Jetzt hat sie also begonnen, die „schönste Seereise der Welt“. Die Hurtigrute, wörtlich übersetzt „schnelle Route“, inoffiziell liebevoll „Küstenexpress“ genannt, wurde 1893 eingeführt. Der königliche Auftrag war klar: Die Küste zwischen Bergen und Kirkenes an der russischen Grenze – insgesamt fast 2700 Kilometer – mit Post und Gütern zu beliefern. Während Jahren hatten die Schiffe der Reederei Hurtigruten das staatliche Monopol auf der Strecke, nun fährt auch Havila auf der Postschifflinie. Die Capella stach am 12. Dezember 2021 als erstes Havila-Schiff in den Nordatlantik, Castor folgte im Mai 2022.

Erst um ein Uhr nachts kann ich mich von den funkelnden Sternen und dem schwarzen Meer lösen, vom Wind und vom Rhythmus des Schiffs. Ich beziehe meine Kabine, mache es mir auf dem Sofa direkt am Fenster gemütlich, und geniesse mit einer Tasse Tee in der Hand den Blick aufs dunkle Wasser und die helle Gischt. Bald schon schaukelt mich die Capella in den Schlaf.


Der erste Tag: Ein wilder Wellenritt

Morgens um sieben schlage ich die Augen auf. Wo sind wir? Rasch den Fernseher einschalten und den Kanal suchen, der die Position der Capella in Echtzeit anzeigt. In wenigen Minuten werden wir in den Hafen der Hafenstadt Harstadt einlaufen, dem kulturellen Zentrum Nordnorwegens. Es ist bedeckt, trotzdem erkenne ich die imposanten Klippen mit den Wasserfällen an der Künste deutlich.

Heute ist Seetag! Ich besichtige ausgiebig „mein“ Schiff, entdecke auf Deck 8 einen kleinen Fitnessraum mit Blick auf die Küste, die Sauna und die beiden Whirpools auf dem Aussendeck. Auf dem selben Deck befindet sich die Bar Havbris unter einem Glasdach. Die Preise sind saftig: Alkohol wird in Norwegen stark besteuert. Ich genehmige mir ein einziges Bier, geniesse viele Stunden das Gefühl der Entschleunigung. Es ist unbeschreiblich entspannend, in einem bequemen Sessel zu sitzen und sich dem vorbeiziehenden Naturkino mit stets wechselnden Szenen hinzugeben.

Als ich in meine Kabine taumle, ist es elf Uhr abends. Das Taumeln steht nicht etwa in Zusammenhang mit dem einzigen Bier. Es liegt vielmehr am starken Wellengang. Zum ersten Mal seit Beginn der Reise schaukelt es zünftig; jetzt, im Herzen des Lofoten-Archipels mit seinen rund 80 Inseln. Der Wind fegt über das Postkartenidyll mit den steilen Bergen, den malerischen Dörfchen samt seiner roten Fischerhäuschen, die an den Bergflanken zu kleben scheinen. Der weisse Sand verleiht den Buchten ein exotisches Flair. Nur das herbstliche Wetter passt nicht zum Südsee-Gedanken: Die Wellen beherrschen die Szenerie und machen die Strecke von Stamsund nach Bodø für uns Passagiere zum kleinen Abenteuer.


Der zweite Tag: Das Loch im Berg

Ab aufs Land! Im Reisebüro an Bord hatte ich einen Ausflug gebaucht. Er startet im Hafen von Bronnøysund, wo wir in den Bus steigen und zum Fuss des majestätischen Bergs Torghatten fahren, einer Granitformation. Sie fällt schon von Weitem auf mit ihrem klaffenden Loch in der Mitte, es ist ganze 35 Meter hoch und 160 Meter breit. Nach einer Viertelstunde Fussmarsch stehen wir vor einer imposanten Felswand und nehmen hernach 150 Steinstufen in Angriff. Oben angekommen, gelangen wir ins tunnelähnliche Loch und geniessen aus dem Berg heraus einen umwerfenden Panoramablick. Es ist ein unvergesslicher Moment, für einmal im Innern eines Berges zu stehen – und zu gehen.

Gemäss einer Sage ist die markante Öffnung im Torghatten die Folge eines Liebesdramas. Troll Hestmannen nämlich wollte die schöne Lekamøya unbedingt für sich gewinnen. Als er realisierte, dass er sie wohl nie bekommen würde, griff er zum Pfeil und schoss auf sie. Er wollte sie lieber tot denn lebendig sehen.Wenn er sie nicht haben konnte, dann bitte auch kein anderer. Der Trollkönig in Sønnafjellet beobachtete die Szene und warf geistesgegenwärtig seinen Hut vor den Pfeil. Der Pfeil durchbohrte den Hut und hinterliess ein Loch. Just in diesem Moment ging die Sonne auf – und verwandelte alle in einen Stein. Auf diese Weise, so wird es erzählt, entstand der Granitberg Torghatten.


Der dritte Tag: Eine optische Täuschung

Wir erreichen Trondheim in Mittelnorwegen noch vor dem Frühstück. Die Hausfassaden in Rot, Mint, Gelb, Orange und Purpur verbreiten eine fröhliche Stimmung auf meinem Morgenspazierung dem Kai entlang. Am Nachmittag steige ich mit der Ausflugsgruppe in Kristiansund in den Bus. Wir fahren auf der legendären Atlantic Road über eine ganze Reihe kleiner Inseln, verbunden durch insgesamt acht Brücken, ein meisterhaftes Bauwerk.

Die Storseisundet-Brücke, ein beliebtes Fotomotiv, ist längst eine Berühmtheit – und auch in Wirklichkeit ein Anblick, bei dem man fast zu atmen vergisst. Sie scheint mit dem Horizont zu verschmelzen und direkt in den Himmel zu führen. Was für eine faszinierende optische Täuschung! Als die Sonne mit ihrem Licht dann noch für starke Farbkontraste sorgt in dieser Filmkulissen-Landschaft, würden wir am liebsten die Zeit anhalten.

Doch es gibt noch mehr zu entdecken: Unser nächster Halt ist das Marmorbergwerk Bergtatt. Hier gehen wir aufs Floss und queren einen See mit Quellwasser im Innern des Bergs. Bald wähnen wir uns in einer Märchenwelt: Das farbige Lichtspiel enthüllt Felsformationen, begleitet von der Musiktönen, die in den Höhlen erklingen, wähernd das Floss sanft übers Wasser gleitet. Wir schauen, staunen und lauschen wie verzaubert.


Der vierte Tag: Bergen inmitten von Bergen

Letzter Tag an Bord der Havila. Die Ankunft in Bergen ist für 15 Uhr geplant, die Kabinen müssen bis spätestens 10 Uhr geräumt sein.

Die Mittagszeit wird um eine Stunde vorverlegt und ich nutze die Gelegenheit, um ein letztes Mal Räucherlachs mit Rührei und Schnittlauch zu bestellen.

Anschliessend verbringe ich meine letzten Minuten an Bord damit, die Landschaft zu bestaunen. Das Schiff schlängelt sich entlang des Hjeltefjords. Je näher wir unserem endgültigen Ziel kommen, desto zahlreicher werden die Siedlungen auf den umliegenden Hügeln.

Nachdem ich von Bord ging und meinen Koffer im Hotel abgestellt hatte, verbringe ich den Rest des Nachmittags mit der Besichtigung des Stadtteils Brygge. Die bunten Holzhäuser zieren den Kai und das Viertel gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Bergen ist eine Stadt mit viel Charme und ist ideal zum Flanieren. Man vergisst fast, dass sie die regenreichste Stadt Norwegens ist.


September – eine ideale Reisezeit?

Wie ist das Wetter?

Der September im Norden kann so ziemlich alle Wetterlagen mit sich bringen, was diese ruhigere Jahreszeit für mich aber umso spannender machte. Die Tage sind noch relativ lang, die Natur bekommt ihr buntes Kleid, des Nachts tanzen die ersten Nordlichter. Aufhellungen nach Regenschauern schaffen eine mystische Stimmung und lassen die Landschaften noch dramatischer wirken.

Was sollte man einpacken?

Eine Regenjacke ist ein Muss, die Temperaturen bleiben aber angenehm. Hochwertige Outdoor-Kleidung gehört unbedingt ins Gepäck, für kühlere Abende eignet sich eine Fleece-Jacke.

Wer wird auf der Hurtigrute glücklich?

Alle, die spektakuläre Landschaften und den Ausblick auf faszinierende Naturschauspiele lieben und das authentische Norwegen ganz entspannt kennenlernen möchten – an Bord, zu Land und auf dem Teller.

nach oben